7 Tipps, wie du deine Widerstandsfähigkeit stärken kannst
Prof. Dr. med. Wolfgang Eirund ist ärztlicher Leiter der Fachklinik Katzenelnbogen & Papa von 4 Kindern. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung verrät er uns seine besten Tipps zur Stärkung der Resilienz.
Mithilfe einer starken Resilienz (Widerstandsfähigkeit) kannst du schwierige Lebenssituationen wie Krisen, Verluste, Trennungen oder Rückschläge besser bewältigen. Sie unterstützt dich dabei solche stressbelastenden Situationen flexibler zu meistern und wirkt wie ein seelisches und körperliches Schutzschild.
Resilienz- was ist das?
Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens mit Belastungen konfrontiert. Was wir jedoch als Belastungen empfinden, kann sehr unterschiedlich sein. Sie können vorübergehender Natur sein, oder auch länger anhalten. Sie können uns alleine betreffen oder eine Gemeinschaft. Manche sind bedrohlich oder „nur“ anstrengend. So kann die Arbeitssituation als Belastung empfunden werden – auch wenn der einzelne dadurch nicht in Gefahr ist. In anderen Fällen empfinden wir uns selber oder andere als bedroht, haben Angst – vielleicht um unsere Gesundheit oder die eines nahen Menschen. Aber auch der Abschied von einer vertrauten Situation oder die Trennung von einem anderen Menschen kann uns sehr belasten.
So unterschiedlich die Belastungen sind, so verschieden kann die Reaktion darauf sein. Dabei kann man nicht pauschal sagen, eine Person sei grundsätzlich belastbarer als eine andere. Vielmehr kann zum Beispiel ein Mensch mit einem erhöhten Stress auf der Arbeit gut umgehen, emotionalen Stress im privaten Umfeld aber nicht gut aushalten. Wir haben also sehr unterschiedliche Fähigkeiten, mit Stress umzugehen. In der Medizin und Psychologie sprechen wir von „Resilienz“. Für die Entwicklung von Resilienz spielen soziale, kulturelle, aber auch medizinische Aspekte eine Rolle. So verfügt jeder Mensch über ein unterschiedliches Profil von Resilienzfaktoren, das seine Widerstandsfähigkeit gegenüber unterschiedlichen Belastungen prägt.
„Fels in der Brandung“?
Wenn wir unsere Belastbarkeit mit anderen vergleichen, dann laufen wir oft Gefahr, ein pauschales Urteil zu fällen, obwohl es sich um eine sehr individuelle Prägung handelt. Ist man sehr im Leistungsdenken gefangen, dann erlebt man den anderen vielleicht als „Fels in der Brandung“ oder wertet den belasteten Menschen als „Mimose“ oder „Versager“ ab. Oder aber man fühlt sich selber als ungenügend und wertlos.
Es wäre natürlich besser, mit Mitgefühl und Nachsicht zu reagieren, wenn wir sehen, dass wir oder jemand in unserem Umfeld an seine Grenzen kommen. Ist ein Mensch in unserem Umfeld in einer akuten Belastungssituation, dann gelingt uns dies meist auch ganz gut. Dauert aber die Reaktion des Betroffenen länger, dann fällt es manchmal schon schwerer.
Besonders rasch neigen wir zum Vergleichen, wenn wir gemeinsam mit anderen über längere Zeit der gleichen schwierigen Situation ausgesetzt sind. Wir laufen dann etwa Gefahr, den anderen vielleicht als „Jammerlappen“ zu erleben. Oder wir stellen fest, der andere habe es doch eigentlich viel leichter als wir selber oder umgekehrt. Dann kommt es zu Spannungen und manchmal zu Streit – oft gerade auch in engeren persönlichen Beziehungen, also in Partnerschaften oder zwischen Elternteilen.
Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf dich
In gewisser Hinsicht haben wir aktuell eine ähnliche Situation: Wir alle müssen über einem längeren Zeitraum mit der Ungewissheit leben, möglicherweise von einem neuartigen Virus infiziert zu werden. Darüber hinaus aber müssen wir mit vielfältigen Einschränkungen klarkommen, die unseren Alltag in bisher ungekannter Weise verändert haben. Natürlich führt das auch zu den beschriebenen zwischenmenschlichen Spannungen.
Am Beispiel der Abstandsregeln und Kontaktverbote wird aber auch deutlich, wie unterschiedlich diese Veränderungen empfunden werden können: Wenn es dem einen leicht fällt, sich abzuwenden und besonneneren Tätigkeiten nachzugehen, so fehlt dem anderen der direkte Kontakt und Austausch mit anderen Menschen.
Die Situation von Familien ist an dieser Stelle besonders komplex: Selbst wenn es meiner Persönlichkeit vielleicht gefallen würde, mich für eine Weile aus den sozialen Kontakten zurückziehen, so ist die Familie selber ja schon ein soziales Gefüge, und gerade unsere Kinder suchen sehr nach Beziehungserfahrungen im sozialen Raum. Als Eltern kann uns das vor große Herausforderungen stellen: Wir sind jetzt nicht mehr nur selber den Sorgen um die Gesundheit von uns und unseren Angehörigen oder den Einschränkungen im sozialen Raum unterworfen, sondern wir haben auch noch die Bedürfnisse der Kinder zu kompensieren und fühlen uns verpflichtet, diesen maximal gerecht zu werden. Sehr anstrengend sind oft auch die verlangten Rollenwechsel – wie etwa der Wechsel ins „Home-Office“ oder die Beschulung der Kinder. Das verändert das eingespielte familiäre Zusammenleben sehr stark.
Das kannst du tun, um deine Resilienz zu stärken:
Es ist natürlich nicht möglich, hier in wenigen Zügen umfassenden Rat zu geben. Dennoch sollten wir uns einiger wichtiger Grundlagen bewusst werden, die uns vielleicht helfen könnten, mit dieser Krise umzugehen:
- Vergleiche dich nicht mit anderen!
Wir sollten uns nicht zu sehr mit anderen vergleichen, wenn es um die Frage der Belastbarkeit geht. Wenn wir an unsere Grenzen kommen, dann sollten wir dies wahrnehmen und darauf achten, wie wir wieder ein inneres Gleichgewicht erreichen. Und wir sollten natürlich auch Verständnis mit anderen haben, wenn sie überfordert wirken.
- Strukturen und Rituale geben dir Halt!
In der Krise laufen wir Gefahr, wichtige Strukturen zu verlieren. Schule oder Arbeit geben uns oft Rollen und Tagesabläufe vor, die plötzlich verloren gegangen sind. Dann ist es wichtig, einen neuen Rhythmus in der Familie zu etablieren und gemeinsam kleine Rituale zu entwickeln. Von Bedeutung ist, sich dabei auch untereinander abzustimmen. Natürlich sollte darin auch Spielraum für spontane Änderungen enthalten sein. Wichtig scheint aber gerade in der Familie eine gewisse Verlässlichkeit von Strukturen zu sein. Es sollte nicht zu beliebig sein, wann und wie die Familie zusammenkommt, und wann es Freiräume für die individuellen Interessen des Einzelnen gibt.
- Nimm dir Zeit für dich!
Innerhalb dieses Rhythmus‘ sollte für jedes Familienmitglied auch Raum und Zeit sein – also auch für einen selbst, beziehungsweise die Eltern. Besonders alleinerziehende Elternteile haben hier allerdings oft wenige Möglichkeiten, auch die eigenen Bedürfnisse hinreichend zu beachten. Aber auch Familien mit kranken Mitgliedern haben es hier besonders schwer. Wichtig ist dann, dass wir auch in unserem Bekanntenkreis Hilfe anbieten, wenn dies notwendig erscheint – oder nach Hilfe fragen.
- Informiere dich bei zuverlässigen Quellen!
Wichtig sind gute und verlässliche Informationen: Ein gutes Wissen um die Hintergründe der Krise erleichtert es oft, mit den erforderlichen Einschränkungen umzugehen. Es muss hier aber betont werden, sich auf verlässliche Quellen zu beziehen und zu vermeiden, durch eine Informationsüberflutung in Panik zu geraten. Regelmäßig die Zeitung zu lesen oder Nachrichten zu hören, macht sicherlich Sinn. Wenn wir aber zu oft am Handy nach diversen „neuesten“ Informationen zur Pandemie suchen, dann führt das häufig zu Unruhe und Unausgeglichenheit.
- Frische Luft und Bewegung tun dir gut!
Wichtige Faktoren für unsere Belastbarkeit scheinen auch Bewegung und Natur zu sein. Sofern es mit den aktuellen Regelungen vereinbar ist, sollten diese beiden Aspekte beachtet werden.
- Pflege deine Sozialkontakte!
Auch in Zeiten von „Social Distancing“ sind unsere sozialen Beziehungen weiter von großer Bedeutung. Wo immer dies geht, sollten wir diese so gut wie möglich pflegen. Auch wenn kein direkter Kontakt möglich ist, so können wir die neuen Medien und das Telefon nutzen, um die Kontakte aufrechtzuerhalten. Die empfohlenen Abstandsregeln sollten nicht in Kontaktabbruch und Isolation münden.
- Plane schöne Erlebnisse!
Nicht zuletzt können wir Perspektiven für die Zukunft entwickeln – am besten gemeinsam mit der Familie. So könnten wir unseren ersten Urlaub „nach Corona“ schon planen und uns vielleicht über den Urlaubsort erkundigen. Wir könnten überlegen, wie wir unsere Geburtstage nachfeiern wollen, wenn die Krise hinter uns liegt. Auch könnten wir uns vornehmen, uns dann etwas Besonderes zu gönnen – etwa einen besonderen Restaurantbesuch, ein Wellness-Angebot oder ein neues Fahrrad – vielleicht für Eltern und Kind?
Möglicherweise gelingt es uns ja sogar, durch solche und andere Maßnahmen auch neue Chancen für unser Zusammenleben als Familie zu entwickeln.
Was du tun kannst, wenn keine Besserung in Sicht scheint:
Natürlich stellt eine solche Krise gerade aufgrund der Ungewissheit und der langen Dauer eine große Herausforderung für Familien dar. Wir sollten uns nicht scheuen, uns auch Hilfe zu suchen, wenn wir diesen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sind. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft: Wir dürfen und sollten zu unseren Schwächen stehen und verantwortungsvoll damit umgehen. Das schützt nicht nur unsere Kinder, sondern auch uns selbst vor Überforderung und Resignation.
Bitte beachte, dass diese oder ähnliche Empfehlungen keine professionelle Beratung oder Betreuung ersetzen. Wenn du also merkst, dass dich deine Probleme überwältigen, suche dir direkte Unterstützung. Wir haben dir hier einige Anlaufstellen aufgelistet, die dir weiterhelfen können.
Wir danken Herrn Prof. Dr. med. Wolfang Eirund für die angenehme und herzliche Zusammenarbeit und seinen Expertenbeitrag zum Thema Widerstandsfähigkeit (Resilienz).
Weitere Information zur Fachklinik in Katzenelnbogen (Offenes Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik)
findet ihr unter https://www.fachklinik-katzenelnbogen.de/
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