Eltern zwischen allen Stühlen

Unklare Vorgaben erfordern eine verantwortungsvolle Auslegung

Bereits seit dem 2. November galten wieder Einschränkungen, die Eltern vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Diese Vorgaben sollten am vergangenen Montag (16.11.2020) eigentlich noch einmal verschärft werden. Anstelle von klaren Vorgaben wurden jedoch nur Empfehlungen ausgesprochen – und die machen es den Eltern jedoch nicht einfacher: Was ist denn nun erlaubt? Wie sichert man den häuslichen Frieden? Und was kann man machen, um auch mental gesund zu bleiben? Was ist, wenn die Kleine nach draußen auf den Spielplatz will und der Große Frust schiebt, weil er seine FreundInnen nicht zuhause sehen darf? Schließlich sieht er sie auch in der Schule, wo sie zusammen Unterricht haben und sich draußen oft ohne Maske vor Mund und Nase unterhalten.

Eltern zwischen allen Stühlen

Scheinbar klare Regelungen?

Oberflächlich betrachtet, scheinen die Regeln relativ klar zu sein:

Diese Regelungen ergeben sich aus den bundesweiten Absprachen zwischen der Bundeskanzlerin und den MinisterpräsidentInnen der Länder.

Für die konkrete Umsetzung sind aber oft die Länder zuständig, die eigene Regelungen erlassen können und dies auch teilweise anders handhaben. In Berlin etwa darf sich bisher eine Person mit bis zu zwei weiteren Personen aus unterschiedlichen Haushalten treffen. Auch sind sportliche Aktivitäten von Kindern in größeren Gruppen unter bestimmten Voraussetzungen gestattet.

Die aktuellen Regeln für dein Bundesland aktualisieren wir wöchentlich hier.

Interpretationsspielräume und Verhandlungen

Schaut man sich die Regelungen genauer an, dann gibt es einige Fragen, was die konkrete Umsetzung betrifft. Auch gibt es Widersprüche zwischen den Regelungen:

So gehen Kinder weiterhin in die Kita oder die Schule, wo sie zwangsläufig mit mehreren anderen Kindern in Kontakt kommen. Nachmittags oder am Wochenende sollen sie sich dann aber nur noch mit einem anderen Kind treffen – und zwar immer mit demselben Freund oder derselben Freundin. Dieser Widerspruch ist Kindern kaum zu vermitteln, weder kleineren Kindern noch insbesondere größeren Kindern. Da es derzeit noch keine feste Vorgabe ist, sondern eine Empfehlung, sollten Eltern damit verantwortungsvoll umgehen, ohne das übergreifende Ziel aus den Augen zu verlieren. So wäre eine Begrenzung auf eine kleinere Gruppe von engen FreundInnen zum Beispiel eine Option, mit denen man sich regelmäßiger trifft. Dabei solltet Ihr möglichst auch darauf achten, dass Kinder dabei, die nur wenige FreundInnen haben. Wann immer möglich, sollten sich die Kinder im Freien aufhalten oder in der Wohnung in kleineren Gruppen.

Du solltest mit deiner Familie aushandeln, wie ihr die Regelungen konkret so umsetzen wollt, dass ihr das Risiko reduziert und gleichzeitig auch den Familienfrieden und das Wohlbefinden aller möglichst aufrechterhaltet. Nimm Bedenken ernst, alle sollten sich mit den Absprachen wohlfühlen. Auch solltest du als Erwachsener ein Vorbild für die Kinder sein und z.B. die Abstandsregelungen einhalten, Mund-Nasen-Schutz tragen und natürlich auch deine Kontakte reduzieren – und sie vielleicht sogar stärker reduzieren, um deinem Kind etwas mehr Freiraum zu schaffen.

Wie umgehen mit psychischer Not von Kindern?

Ein Beispiel aus unserem Alltag: Der Große will seine Freunde treffen, sei es zum Lernen oder Chillen. Unser Balkon ist zum Treffpunkt geworden, fast täglich sind einige Freunde unseres Sohnes da, sie klönen und chillen oder spielen Karten auf dem Balkon. Vor ein paar Tagen hatten wir die erste richtige Auseinandersetzung – es hat richtig gekracht: die Frage war, ob der dritte Freund auch noch kommen darf oder nicht (in Berlin dürfen sich z.B. drei Personen aus drei Haushalten zusammen im Freien aufhalten!). Sie wären also zu viert gewesen. Nachdem wir zunächst versucht haben, an den Regelungen festzuhalten, haben wir am Ende einen Kompromiss gefunden. Wir waren damit einverstanden, dass sie sich ausschließlich draußen auf dem Balkon aufhalten. Für uns war ausschlaggebend, dass wir den psychischen Druck gesehen haben, den die harte Durchsetzung der Regelungen verursacht hätte. Bei allem Verständnis für die grundsätzliche Zielsetzung, aber sie kann nicht zu lasten nachhaltiger psychologischer Schäden bei Kindern gehen. Egal, um welche Regelung es geht – Ihr habt als Eltern eine besondere Verantwortung Euch und Euren Kindern gegenüber.

Elternbesuch beim Kind, das beim anderen Elternteil lebt

Ein weiteres Beispiel aus der Beratungspraxis der ElternHotline: Darf der getrennt lebende Elternteil seine Kinder besuchen, die in einem anderen, etwas weiter entfernt liegenden Ort leben, oder dürfen die Kinder zu Besuch kommen und sogar übernachten? Ist das eine notwendige Reise, oder fällt das unter touristisch?

Hier haben die meisten Länder zugunsten der Besuchserlaubnis entschieden, das heißt Elternbesuche bei Kindern, die beim getrennt lebenden Elternteil wohnen, sind weiterhin möglich. Aber auch dann, wenn es keine explizite Regelung geben sollten, sollten Eltern sich nicht davon abhalten lassen. Formal gesehen, sind zum einen die genannten Personenzahlen nicht überschritten, auch handelt es sich kaum um eine nicht notwendige Fahrt. Das Wohlbefinden des Kindes und der Eltern sollte hier im Zweifel Vorrang haben, vor einer zu engen Auslegung. Zudem hast du als Mutter oder Vater nicht nur die rechtlichen Regelungen im Blick, sondern auch die Gesundheit und das psychische Wohlbefinden deiner Familie

Kindergeburtstag

Noch stärker als die Einzelregelungen aber führt das Nebeneinander unterschiedlicher Regelungen zu Irritationen. So sollen private Feiern möglichst ganz unterbleiben, obwohl sich kleinere Kinder in der Kita – ohne Mund-Nasenschutz – treffen. Und die Kindergartengruppe ist, selbst bei ziemlich strenger Trennung der Gruppen, oft größer als 10 Kinder. Wie erkläre ich also meinem drei- oder vierjährigen Kind, dass der Geburtstag auch dann nicht geht, wenn dazu die Kinder aus der Kita eingeladen sind?

Ein Lösungsvorschlag könnte daher sein, dass man den Kindergeburtstag in der Kita feiert (sofern die Kita mitspielt) oder wirklich nur Kinder einlädt, die in den gleichen Kindergarten gehen. In diesem Fall ist aber darauf zu achten, dass die Eltern ihre Kontakte soweit möglich begrenzen und diese Gelegenheit nicht zu fröhlichen Austausch untereinander oder gar für ein Treffen in großer Gruppe nutzen. Daher sollten die Kinder – wie an der Kita auch – die letzten Meter alleine absolvieren und auch bei der Abholung die Abstände möglichst eingehalten werden.

Kinderspielplatz

Wie ist es denn mit dem Kinderspielplatz? Hier kommen ja schnell mehrere Kinder zusammen? Einerseits verweist die Informationsseite der Bundesregierung darauf, dass die Abstandsregelungen eingehalten werden. Andererseits bestimmen die einzelnen Bundesländer, ob der das Spielen auf dem Spielplatz erlaubt ist oder nicht.

Eltern sollten die Freiheiten, die sie haben nutzen und mit den Kindern an die frische Luft gehen um sie zu körperlichen Aktivitäten anregen. Das dient neben dem Bewegen und dem „Motoriktraining“ allgemein auch dazu, dass Kinder gesünder bleiben und ihre überschüssige Energie loswerden können. Insofern empfehlen wir dringend, mit dem Kind auf den Spielplatz zu gehen oder andere Formen der Bewegung aufrechtzuerhalten.

Lasst uns voneinander lernen

Wir hältst du es? Welche Wege hast du gefunden, um für Dich und Deine Familie eine Balance zu finden, zwischen Risikoverringerung und pragmatischem Umgang mit der Situation? Hier müssen Kompromisse gefunden werden – die sich mitunter nicht immer an den Vorgaben orientieren können, will man dauerhafte Schäden für Familienleben oder auch Psyche verhindern. Befehl und Gehorsam funktionieren in modernen Familien nun einmal nicht, auch widerspricht es dem gängigen Erziehungsverständnis.

 

Hat dir unser Artikel gefallen? In unserem ElternHotline-Magazin findest du eine Vielzahl von Beiträgen zu aktuellen Themen, z.B. zur Infektionslage bei Kindern, ob die Schulen schließen sollen oder nicht sowie dazu, dass Eltern mehr Unterstützung von der Politik brauchen. Es gibt auch praktische Tipps, wie du und deine Familie gut durch den Herbst und die Corona-Krise kommen.

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