Konjunkturpaket – Bildungspolitisch und für Eltern enttäuschend

Bildungsforscher und Gründer der ElternHotline, Dr. Dieter Dohmen, bezieht Stellung

Vergangene Woche wurde das Konjunkturpaket beschlossen – während etliche übergreifende Impulse spannend und wegweisend sind, gibt es für Eltern „nur“ 300 Euro und den Plan in Kindertagesbetreuung und Ganztagsschulen zu investieren. Das ist sowohl familien- als auch bildungspolitisch zu wenig, auch wenn die Familien- und Kultusminister jetzt am Zug sind und Kitas und Schulen verstärkt öffnen wollen.

Konjunkturpaket – Bildungspolitisch und für Eltern enttäuschend

Eltern als meistgeforderte Gruppe der Krise werden durch das Konjunkturpaket nicht ausreichend unterstützt

Mindestens 130 Milliarden Euro werden im Rahmen des Konjunkturpaketes investiert, wenn nicht gar auf Dauer noch mehr. Der Fokus auf Mehrwertsteuerermäßigung und Elektromobilität sowie einige andere Aspekte sind positiv hervorzuheben. Im Kern der Zukunftsvorsorge – dem Bildungsbereich – und in der Unterstützung bzw. der Anerkennung für Eltern, die möglicherweise die am meisten geforderte Gruppe in diesen Zeiten war, ist das Paket aber eine ziemliche Enttäuschung.

Ausbau von Kinderbetreuung und Lehrkonzepten nicht zukunftsweisend

Ohne Frage, der Ausbau der Kinderbetreuung sowie der Ganztagsschulen ist notwendig und hätte auch ohne Corona weiter vorangetrieben werden müssen. Aber schon bisher scheitert die Umsetzung des 2007 beschlossenen Ausbaus der frühkindlichen Bildung sowohl an fehlenden Finanzen in den Kommunen als auch insbesondere an fehlenden ErzieherInnen; in den vergangenen Jahren haben viele Bundesländer den Schwerpunkt eher auf Beitragsentlastungen denn Qualitätsverbesserung gesetzt. Auch der seit 20 Jahren vorangetriebene Ausbau der Ganztagsschulen hat bis heute meist keine Ausweitung des strukturierten Unterrichts, sondern vor allem Hausaufgabenbetreuung und Arbeitsgemeinschaften bedeutet. Die Rahmenfestlegungen der Kultusministerkonferenz, ab wann eine Schule als Ganztagsschule bezeichnet bzw. erfasst werden darf, sind eher Bildungsminimalismus als zukunftsweisend und qualitätssteigernd.

Kein zielgerichteter Unterricht bei wechselnden Wochentagen möglich

Mindestens drei Tage pro Woche müssen Eltern in der Lage sein, ihre Kinder auch Nachmittags in der Schule lassen zu können. Wenn aber Heinz, Lisa und Aise montags, mittwochs und freitags dort sind, Yannick, Maik und Yolanda, die in die gleiche Klasse gehen, jedoch dienstags, mittwochs und donnerstags, dann ist kein zielgerichteter Unterricht möglich. Diese Untergrenze der Definition wurde zum einen vor dem Hintergrund der damit verbundenen geringeren Kosten sowie zum anderen aufgrund der Möglichkeit Elternbeiträge erheben zu können beschlossen. Entsprechend dünn sind auch die Befunde der Evaluation zu den Lern- und sonstigen Wirkungen auf die Kinder. Um allzu deutliche Hinweise auf die Effekte unterschiedlicher Ganztagsmodelle zu verhindern, wurde auch darauf geachtet, dass die Evaluation diese nicht zu genau erfasst. Qualitätsvergleiche zwischen den Bundesländern sind eben sowenig gewünscht – statt eines qualitätstreibenden Bildungswettbewerbs gibt es Behinderung jedes Versuchs hier Licht ins Dunkel zu bringen.

Ziel verfehlt? Statt Familien fördert das Konjunkturpaket zunächst die Bauindustrie

Wenn jetzt etliche Milliarden Euro für den Ausbau der Kindertagesbetreuung und der Ganztagsschulen bereitgestellt werden, so bedeutet der Fokus auf Investitionen, dass zunächst lediglich die Bauindustrie gefördert wird. Man kann jetzt zwar argumentieren, dass der Bund, der das Konjunkturpaket zum großen Teil finanziert, viel mehr nicht tun kann. Allerdings interessiert es Eltern kaum, wie die Kita oder die Schule endlich besser wird, und ob der Bund oder die Länder nur dieses oder jenes finanzieren können. Der Bildungsföderalismus hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht vermocht, ein wirklich hochwertiges Bildungssystem in Deutschland zu etablieren, und ohne grundlegende Veränderungen wird er es auch in den kommenden Jahren nicht schaffen.

Zwar wurden immer wieder einmal hohe Ziele gesteckt, zuletzt vor über zehn Jahren auf dem sog. Dresdener Bildungsgipfel. Allerdings wurden die meisten dieser Messlatten auch regelmäßig gerissen.

Nicht ausreichend: Fernunterricht mit digitalen Hilfsmitteln statt digitale Lehrkompetenz

Wie Familien- und Bildungspolitik funktioniert, lässt sich auch in den vergangenen Wochen und Monaten sehr gut beobachten. Hätten die Schulen eine funktionierende digitale Infrastruktur, die LehrerInnen digitale Lehrkompetenzen und alle SchülerInnen die notwendigen Endgeräte, dann hätte digitaler Unterricht stattfinden können. Stattdessen fand meist von den Schülerinnen und Schülern bzw. deren Eltern selbst zu steuernder Fernunterricht statt: PDFs wurden per Email an den SchülerInnen geschickt – oder gar Hausaufgaben aus dem Schulbuch über Whatsapp ausgegeben – was kaum etwas anderes ist als Kopien per Post an die Schüler zu senden – nur dass der Weg schneller und kostengünstiger ist. Digitaler Unterricht ist was anderes.

Wenn man möchte, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung oder der Ganztagsschulen bei den Kindern – und auch den Eltern – ankommt und mehr ist als Kosmetik, dann ist parallel dazu ein Ausbau der Qualifizierungsaktivitäten für ErzieherInnen in den Berufsschulen und in der praxisbegleitenden Ausbildung einerseits und ein weitergehender Ausbau der Lehrerbildung, einschl. der Lehrerfortbildung, dringend erforderlich. Letzteres ist insbesondere auch mit Blick auf die dringend notwendige Ausweitung und Verbesserung des digitalen Lernens nötig.

SchülerInnen müssen eine bessere digitale Ausstattung bekommen

Es ist erstaunlich, wie wenig im Konjunkturpaket wie auch in den letzten drei Monaten im Hinblick auf die Digitalausstattung der Schulen, Lehrkräfte und insbesondere SchülerInnen passiert ist. Anstatt die Corona-Krise als Anlass zu nehmen, den Digitalpakt deutlich aufzustocken, die Anforderungen an Beantragung und Beschaffung zu reduzieren, hat man hier und da ein paar Euro zusammengesammelt, um im Endeffekt kaum etwas zu erreichen. Viele SchülerInnen haben bis heute noch kein brauchbares Endgerät verfügbar, in der Regel übrigens solche, die auch ansonsten die schlechteren Voraussetzungen für ein gelingendes Schülerleben haben. Es ist vielfach betont worden, dass sich die Bildungsschere in Corona-Zeiten weiter geöffnet hat.

Habe ich nur etwas überlesen oder ist im Konjunkturpaket tatsächlich kein Geld für den schnellen und besseren Ausbau von Schulen mit digitaler Infrastruktur vorgesehen – die 5 Milliarden Euro für den Digitalpakt waren immer schon und sind weiterhin viel zu wenig.

Keine faire Förderung: Was soll mit 300 Euro pro Kind eigentlich erreicht werden?

Fragwürdig sind auch die 300 Euro für Eltern und mir ist bis heute nicht klar, was damit erreicht werden soll. Ich will hier nicht von einem Schweigegeld sprechen, aber der Betrag ist gerade für die Eltern, die – um die immensen Belastungen schultern zu können, die ihnen auferlegt wurden – die Arbeitszeit reduziert haben, ein Witz. Dies gilt umso mehr, als auch die anderen Kompensationsmaßnahmen keinen fairen und angemessenen Lohnersatz geboten haben bzw. bieten. Kindererziehung wird gerade wieder einmal privatisiert, obwohl die Eltern weder etwas für Corona noch die damit einhergehenden politischen Entscheidungen können.

Für die Eltern hingegen, die keine finanziellen Einbußen haben, weil sie im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, oder deren Kinder schon größer sind oder sie Familie und Kinderbetreuung bzw. Lernbegleitung sehr gut unter einen Hut haben bringen können, sind die 300 Euro ein Geschenk, das sie sicherlich gerne in Empfang nehmen, aber nicht wirklich brauchen. Es wäre daher gerechter – und auch sinnvoller – gewesen, denjenigen, die es wirklich brauchen, mehr zu geben und dafür denjenigen weniger, die – wie meine Familie und ich – ohne finanzielle Einbußen durch die vergangenen Monate gekommen sind. Finanzielle Unterstützung benötigen dabei auch Eltern, die an die Grenze der Leistungsfähigkeit gegangen sind und sich nur regenerieren müssen und ggf. deshalb temporär auf Einkommen verzichten – oder sich krankschreiben – müssen.

So dreht sich das Rad der Gleichberechtigung wieder stärker zurück

In seiner Wirkung wenig hilfreich ist meines Erachtens auch der sog. steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Steuerliche Regelungen führen dazu, dass die Entlastung mit steigendem Einkommen ansteigt. Was steuersystematisch korrekt ist, bedeutet aber, dass eine Mutter mit einem Einkommen von 2.000 Euro monatlich gerade einmal knapp 40 Euro mehr im Portemonnaie hat, eine mit 5.000 Euro jedoch 65 Euro. Viele Mütter mit geringeren Einkommen werden kaum etwas vom Entlastungsbetrag haben.

Auch wenn nicht übersehen werden sollte, dass ein erheblicher Teil der Väter Arbeitszeit reduziert und/oder zuhause geblieben ist, sind es die Mütter, die davon besonders betroffen sind. Hier besteht die Gefahr, dass sich das Rad der Gleichberechtigung wieder stärker zurückdreht. Für Arbeitgeber bestehen wieder stärkere Anreize, kinderlose Frauen oder Männer einzustellen, die nicht bei einer eventuellen nächsten Pandemie wegen Kinderbetreuung zwangsweise zuhause bleiben müssen, weil der Gesetzgeber Kitas und Schulen schließt. Dabei kann und will ich es dem Gesetzgeber nicht vorwerfen, dass er diese Entscheidung getroffen hat – ich hätte mir aber dennoch etwas mehr Kreativität und Aktion gewünscht, um Eltern stärker unter die Arme zu greifen. Es ist ja nicht so, dass es nur Kinderbetreuung in Kitas oder Schulen gibt und keine anderen Optionen, etwa Tandemlösungen von zwei Familien etc.

Wichtige Frage von Eltern nicht beantwortet: Wie wird bereits verlorener Lernstoff zukünftig aufgeholt?

Noch wichtiger als die Frage der finanziellen „Kompensation“ dürfte für Eltern und Kinder aber die Frage sein, wie der verlorene Lernstoff aufgeholt werden soll. Sommerschulen werden nicht ausreichen, hier sind andere Wege „zur Erhöhung der Lernkurve“ erforderlich. Lernen ist keine lineare Entwicklung, das gilt erst recht, wenn ein Bildungssystem nicht am oberen Rand der Möglichkeiten verläuft. Ich bin gespannt, welche Konzepte die Familien- und Kultusminister entwickeln, um die Leistungsfähigkeit des Kita- und Schulsystems weiter zu verbessern.

–––

Dr. Dieter Dohmen ist Analyst, Querdenker, Visionär und als Inhaber und Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (www.fibs.eu) und geschäftsführender Gesellschafter der ElternHotline gGmbH i.G. (www.ElternHotline.de) auch Sozialunternehmer.

Themen

Artikel zum Thema