„Du Corona, geh nach Hause!“
Die Pandemie als Auslöser von Konflikten im Klassenzimmer
Pubertät: Alles ist besser als Unterricht
Meine Klasse würde ich als „lebhaft“ beschreiben. Seit die Sommerferien vorbei sind, sind die SchülerInnen meiner 6. Klasse "die Großen". In den meisten anderen Bundesländern wären die Kinder schon auf der weiterführenden Schule. In Berlin ist das die letzte Klasse der Grundschule. In der 6. Klasse ist vieles interessant, Unterricht gehört nicht für jede oder jeden dazu. Dafür TikTok und vor allem: Freundinnen oder Freunde.
Seit Corona ist diese 6. Klasse nicht mehr „lebhaft“, sondern ziemlich herausfordernd für mich. Corona liefert so viel mehr Möglichkeiten, Unruhe in der Klasse zu verbreiten. Was ich vor Corona gar nicht angesprochen hätte, muss ich heute kommentieren oder bestrafen:
- Radiergummi oder Tintenkiller von anderen Kindern ausleihen
- Nicht die Hände waschen
- Essen miteinander tauschen wollen
- „falsch“ niesen, nämlich in die Hand statt in die Armbeuge
- Zu nah aneinander sitzen
- In irgendeiner Form gegen Hygiene-Regeln verstoßen
Wer vorher schon Klassenclown war, hat nun noch mehr Spielraum, um zu wirken
Vor ein paar Tagen hat ein Kind seine Taschentücher auf dem Nachbartisch aufgetürmt, während das Kind draußen gearbeitet hat. Als es wieder reinkam und die gebrauchten Taschentücher entdeckte, war für 5 Minuten an Unterricht nicht mehr zu denken, so laut war das Gebrüll, so lange dauerte die Desinfektion des Tisches. Am Ende war es ein doofer Streich und die Taschentücher waren nur in Wasser getränkt.
Solche Scherze, die ohne Corona-Pandemie vielleicht lustig wären, fühlen sich jetzt für die Kinder bedrohlich an.
Wer niest ist cool oder wird gemobbt
Gleichzeitig beobachte ich aber auch ungute Gruppendynamiken wie Mobbing. Früher haben sich die Kinder mit „dumm“, „doof“ oder „Streber“ beleidigt. Heute ist es eher „Du Corona!“.
Wenn ein Kind mehrmals am Tag niest oder hustet, dann wird es von den anderen Kindern gemieden. Bei so einem Fall vor ein paar Tagen wollten alle Kinder, die neben dem entsprechenden Kind saßen, umgesetzt werden. Die ganze Klasse wollte dann entscheiden, wer im Klassenzimmer bleiben darf und wer nicht.
Schwer zu greifen ist manchmal für mich, ob so ein Verhalten eher aus eigenen Ängsten resultiert oder ob ein Kind auch mal das andere ausschließen will.
Und dann gibt’s noch die QuatschmacherInnen, die die Gunst der Stunde nutzen, um Husten und Niesen vorzutäuschen. Diese Kinder wollen zum Händewaschen geschickt werden, damit sie keine Arbeitsblätter zu „Vergangenheitsformen im Deutschen“ ausfüllen müssen. Sie fühlen sich dann wiederum super cool und werden für ihr gespieltes Niesen heldenhaft gefeiert.
Lösung: Mitgefühl und Reden
Ich unterrichte gerne, ob mit Herausforderung oder ohne. Lehrerin-Sein ist genauso wie Eltern-Sein ein lebenslanges Lernen . In schwierigen, angespannten Phasen hilft es mir offen und ehrlich mit den Kindern zu sprechen. Ich möchte ihnen vermitteln, dass ich sie gerne verstehen möchte. Sie müssen im Gegenzug aber auch verstehen, dass dabei bestimmte Grundregeln eingehalten werden müssen.
Was kannst du als Elternteil machen, wenn Probleme in der Klasse auftreten?
Du als Elternteil kennst dein Kind natürlich am besten und kannst das Verhalten deines Kindes deuten. Wenn du merkst, dass dein Kind sich in der Klasse unwohl fühlt oder ängstlich ist, zum Beispiel weil andere Kinder ihm zu nahe kommen oder weil es gemobbt wird, dann hast du folgende Möglichkeiten:
- Ein Gespräch mit der Lehrkraft vereinbaren oder der Lehrkraft eine E-Mail schreiben
- Dich an die ElternsprecherInnen wenden
- Im Ernstfall ein Gespräch mit der Schulleitung vereinbaren
Übrigens: Während der Corona-Pandemie finden Elternabende entweder gar nicht statt oder nur in sehr reduzierter Form. Trotzdem ist es wichtig, dass du als Elternteil deine Bedenken und Gefühle zum Ausdruck bringen darfst.
Fazit: Auf Wertschätzung und einen guten sozialen Umgang zu achten, sehe ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben. Mit oder ohne Corona. Mit Corona brauche ich noch sehr viel mehr Fingerspitzengefühl, damit ich die ganzen Ängste, Sorgen, aber auch Beleidigungen passend analysiere und darauf angemessen reagieren kann. Auch bei den Kindern ist durch Corona eine Grundanspannung zu spüren, die sich schnell in Form von Provokation oder Streit entlädt. Deswegen ist es so wichtig, dass Schulen und Familien in Kontakt bleiben, um sich über Herausforderungen auszutauschen und zusammen Lösungen zu finden.
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