„Der Fels in der Brandung zu sein ist die größte Herausforderung“
Lehrerin-Sein in Zeiten von Corona
„Wie wird es mir gehen, wenn ich wieder normal vor der Klasse stehe? Mitten in einer Pandemie?“ Diese Frage habe ich mir während der Sommerferien gestellt. Dass nach den Sommerferien wieder „richtiger“ Unterricht stattfinden soll, hat die Schulleitung uns am Anfang der Sommerferien per E-Mail mitgeteilt.
Zurück zum normalen Unterricht: Wenn Niesen eine Klasse in Aufruhr versetzt
Seit Ende der Sommerferien unterrichte ich wieder alle Kinder gemeinsam. Im Gebäude müssen wir alle eine Maske tragen, im Klassenzimmer allerdings nicht. Es ist immer ein Fenster geöffnet. Als alle Kinder das erste Mal wieder gemeinsam in der Klasse saßen, hatte ich richtig Herzklopfen. Von Mai bis zu den Sommerferien habe ich maximal 10 Kinder am Tag unterrichtet. Trotz halber Klasse hat es sich schon damals nach doppelter Verantwortung angefühlt. Dieses Gefühl hat sich nochmal verstärkt, seitdem alle Kinder wieder gemeinsam im Klassenraum sitzen. Es gehen mir Gedanken durch den Kopf, wie:
- Haben sich alle Kinder vor dem Essen die Hände gewaschen?
- Sollte ich Kind x lieber nach Hause schicken, weil es krank aussieht? Auch die Kinder mischen sich hier gerne ein und wollen, dass ein bestimmtes Kind einen Einzelplatz bekommt oder nach Hause geht.
- Wie mache ich guten, spannenden Unterricht, ohne dass sich die Kinder zu viel begegnen oder Materialien austauschen? Denn eigentlich bedeutet dieser Austausch für mich guter Unterricht und dass die Kinder spielerisch lernen .
Die Corona-Hygiene-Regeln im Blick zu haben und meinen Unterricht danach auszurichten, ist für mich mit mehr Anspannung und auch mehr Frustration verbunden. Frustration, über die eingeschränkten Möglichkeiten zu unterrichten. Das spüren auch die Kinder. Gleichzeitig bin ich froh, dass alle Kinder gesund vor mir sitzen. Echt und in Farbe. Und ich ihnen nicht nur hinterm Bildschirm begegne.
Kolleginnen, die fehlen, treten ein Gedankenkarussel los
An der Schule versammeln sich so viele Menschen: Kinder und Erwachsene. Ständig fassen wir die gleichen Gegenstände an. Schon, wenn wir den gemeinsamen Computer im LehrerInnenzimmer benutzen. Kolleginnen, die mehrere Tage fehlen, sind mir vor der Pandemie kaum aufgefallen. Heute ertappe ich mich, wie ich mich frage: „Liegen sie mit Husten und Atemnot im Bett?“
Unterrichten während Corona bedeutet blitzschnelle und umsichtige Entscheidungen treffen zu müssen
Vor ein paar Tagen kam ein Kind nach vorne und wollte mir etwas ins Ohr sagen. Das sind immer die Momente, in denen ich in einen inneren Konflikt gerate. Ich will für die Kinder eine Vertrauensperson sein, einen sicheren Rahmen geben, sodass sie die Welt entdecken können. Aber ich will auch nicht, dass sie mir zu nah kommen und mich eventuell anstecken.
Ich fühle mich manchmal ziemlich „schutzlos“ hinter dem Lehrerpult. Das sind sekundenschnelle Entscheidungen, die ich dann treffen muss. In diesem Fall habe ich dem Jungen mein Ohr geschenkt. Und dann hat er mir zugeflüstert, dass er sich gerade auf der Toilette übergeben musste. Ich habe das Kind sofort nach Hause geschickt. Am Ende war es ein Magen-Darm-Virus.
Auch bekomme ich immer mal wieder einen Nieser ab oder räume am Ende des Tages ein schmutziges Taschentuch weg.
Fazit: Der Fels in der Brandung zu sein, auch wenn ich selbst nicht weiß, ob wir dieses Schuljahr bis zum Ende gemeinsam im Klassenzimmer verbringen werden, ist die größte Herausforderung, die sich mir momentan stellt. Ich möchte in mir ruhen und den Kindern ein Gefühl von Zuversicht geben, aber auch gleichzeitig nichts verherrlichen.
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