„In einem Jahr werden diese Wochen ohne Unterricht keine Rolle mehr spielen“
Was ist für Lernerfolg wichtig? Eine Grundschullehrerin erzählt
Die Situation der letzten Monate war nicht einfach für SchülerInnen und Eltern. Die Gemüter sind erhitzt. Es herrscht Unsicherheit darüber, wie es nach den Sommerferien weitergehen soll und welche Auswirkungen Schulschließungen für Kinder langfristig haben werden. Wir haben mit einer Lehrerin gesprochen, die an einer Berliner Grundschule unterrichtet. Sie hat uns erzählt, was dafür nötig ist, dass SchülerInnen gut und gerne lernen und was Eltern tun können, die sich um Lernlücken sorgen.
Spielerisch und mit viel Freiraum lernen Kinder gerne
1. Wie hättest du Anfang des Jahres eine gute Lernumgebung beschrieben und wie würdest du sie jetzt beschreiben?
Ich hätte Anfang des Jahres gesagt, dass eine gute Lernumgebung dort herrscht, wo Kinder sich entfalten können, unterstützt und gefördert werden. Wo sie Fehler machen dürfen, ohne das Gefühl zu bekommen, deswegen nicht schlau zu sein. Eine Lernumgebung, die mit intrinsischer Motivation arbeitet und spielerisch Inhalte vermittelt, ist für mich ideal, ganz nach Friedrich Schiller: "(...) Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt". Ich nenne mal ein Beispiel aus meiner Praxis: Ich habe mit den Kindern im Deutschunterricht eine andere Version von "Stadt, Land, Fluss" gespielt. Es gab Kategorien wie Nomen, Adjektive, Verben und da musste man dann immer zu einem bestimmten Buchstaben die Zeile füllen. So haben die Kinder die Wortarten gelernt. Außerdem ist es wichtig, immer ganz deutlich zu machen, dass man nur bestimmte abgefragte Inhalte bewertet, nicht aber den Menschen an sich.
Eltern müssen als BildungsbegleiterInnen gestärkt werden
Eine gute Lernumgebung würde ich jetzt immer noch genauso beschreiben – bloß, dass ich Anfang des Jahres dabei nur an ein Klassenzimmer gedacht hätte. Corona hat mich dafür sensibilisiert, dass Lernumgebungen überall stattfinden, natürlich auch im Elternhaus. Corona hat mir die Notwendigkeit gezeigt, Eltern ihre Rolle als BildungsbegleiterInnen zu vermitteln, so dass sie selbst gute Impulse geben können, auch wenn aus irgendeinem Grund die Schule nicht stattfindet.
2. Viele Eltern machen sich Sorgen um verloren gegangenen Schulstoff. Wie stehst du dazu und was rätst du ihnen?
Ich störe mich etwas an dem Begriff "verloren". Jeder Schulstoff ist natürlich auch an bestimmte Kompetenzen geknüpft, die durch ihn erlernt werden sollen. Beispielsweise die Fähigkeit aus Texten Kernaussagen zu entnehmen. Dafür ist es dann nicht entscheidend, welches Buch genau ein Kind liest. Das heißt, viele Kompetenzen wurden durchaus trotzdem entwickelt, entweder mit dem geplanten Lehrstoff oder anhand von anderen Materialien. Je nachdem, wie viele Impulse die Lehrkraft während des Corona Lockdowns gegeben hat. Auch viele Eltern haben mit guten Anregungen vieles aufgefangen.
SchülerInnen haben viel an Sozialkompetenz dazugelernt
Außerdem ist Lernen natürlich auch in einem größeren Kontext zu sehen. Vielleicht haben einige Kinder bestimmte Inhalte des Schulstoffes "verloren", dafür haben sie aber ganz bestimmt auch neue dazu gewonnen. Beispielsweise die Kompetenz, auf andere Leute Rücksicht zu nehmen, wie etwa ältere Menschen, und sich Zuhause selbst zum Lernen zu motivieren. In meinem Haus gab es einen Aushang von SchülerInnen, die den NachbarInnen ihre Hilfe beim Einkaufen angeboten haben, falls diese in die Risikogruppe fallen. Was ich damit sagen will: Die sozialen Kompetenzen, die dabei erlernt wurden, kann man gar nicht gegen verlorene Inhalte aufwiegen.
Eltern können sich einen Überblick verschaffen
Ich würde erstmal allen Eltern raten, Ruhe zu bewahren. Denn ich denke, in einem Jahr werden diese Wochen ohne Unterricht keine Rolle mehr spielen. Nur wenn wirklich sehr sehr wenige Impulse von Seiten der Lehrkraft kamen und zudem der Wechsel auf eine weiterführende Schule ansteht, würde ich den Eltern raten, sich die Lehrpläne für die Klassenstufe anzuschauen. Oder bei der Lehrkraft nachzufragen. So, dass sie einen Überblick haben, welche Themen überhaupt durchgenommen werden sollten und hier zu schauen, dass ein paar Themen in den Ferien aufgeholt werden können. Materialien kann man sich von der Lehrkraft zuschicken lassen oder im Internet finden.
3. Wenn du dir für das kommende Schuljahr eine Sache wünschen dürftest, welche wäre das?
Ich würde mir zwei Dinge wünschen: Bitte keine zweite Corona-Welle und dass Coaching und Empowerment Teil des Stundenplanes werden, sowohl für SchülerInnen als auch für Lehrkräfte.
Wir bedanken uns für das Interview. Einen Überblick über Lernmaterialen haben wir hier gesammelt, schaut doch gerne mal vorbei.
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