Die Schule macht Pause – das Lernen nicht
Was ihr in die Sommerferien mitnehmen könnt
Das lebenslange Lernen ist schon seit Jahrzehnten ein Begriff, der immer wieder gern in der Politik oder auch bei einer geselligen Küchentischdiskussion aufgegriffen wird. Vielleicht liegt es daran, dass „lebenslanges Lernen“ aus jeder Perspektive irgendwas anderes heißen soll.
Geboren wurde diese so beliebte Bildungsvision irgendwann in den 1960ern und seitdem hat sie Karriere gemacht. Alle wichtigen Organisationen mit Großbuchstaben im Namen (UN, OECD, UNESCO, EU) haben dazu ihre Theorien entwickelt. Doch richtig spannend wird es erst jetzt in den Ferien, wenn der Schulunterricht Pause macht.
Wir treffen jeden Tag Entscheidungen
Auf Wikipedia heißt es dann heute: „Auf der Basis individueller Selbstbestimmung zur optimalen persönlichen Bewältigung aller Lebensherausforderungen zu befähigen.“ Das heißt also, dass alle Menschen in der Lage sein sollen, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Ein Baustein unserer Demokratie.
Dank dieser Haltung ist jede*r Einzelne dazu fähig, nicht nur immer neu im Supermarkt einzukaufen oder stumpfsinnig Regeln zu befolgen – sondern auch die eigenen Grenzen zu vertreten. Wir werden darin bestärkt, für das einzutreten, was wir wirklich wollen und brauchen. Dabei ist es völlig in Ordnung, dass Menschen jeden Tag nicht nur selbst lernen müssen, wie es um ihre Bedürfnisse steht – sondern auch die ihrer Mitmenschen Schritt für Schritt kennenlernen.
Zusammenleben als Organismus
Unser Zusammenleben ist ein Organismus und kein Organigramm. Wir alle reagieren aufeinander und lernen aus den Erfahrungen, die sich uns täglich bieten. Bei dieser Vorstellung vom Lernen spielt es keine Rolle, welche Vorteile manche Menschen gegenüber anderen haben. Ja, manche sind vielleicht sportlicher – andere besonders gut im Rechnen. Das macht sie genauso zum Mitglied unserer Gesellschaft wie diejenigen Menschen, die anderswo ihre Stärken haben – oder diejenigen, die jeden Tag ein bisschen besser mit körperlichen Beeinträchtigungen umgehen.
Die Berliner Pädagogin und ehemalige Hauptschullehrerin Maike Plath warnt davor, die Vorstellung vom Organismus zu vergessen. Eingleisige Strukturen und exklusive Gruppen sorgen dafür, dass irgendwann die wenigen über die anderen bestimmen dürfen: „Geschichte wiederholt sich nicht. Aber die Muster in den Köpfen der Menschen wiederholen sich sehr wohl. Wir wissen das alle! Wenn wir an inneren Mustern nicht ganz bewusst arbeiten, dann verdrängen wir sie letztendlich und sie entfalten Kraft an einer Stelle, an der wir sie nicht wollen.“
Lebenslanges Lernen ist eigentlich nicht kompliziert
Seitdem es das „lebenslange Lernen“ gibt, arbeiten Staaten daran, in den Schulen demokratische Bildung zu ermöglichen. Aber funktioniert das wirklich mithilfe von behördlichen Regelkatalogen?
In Baden-Württemberg beispielweise bemüht sich das Bildungsministerium seit Jahrzehnten darum, die Bildung an seinen Schulen mehr auf die Persönlichkeit junger Menschen auszurichten und weniger auf den Lernstoff, den sie nach ihrem Abschluss immer noch auswendig aufsagen können. Die Bildungspläne seit 2004 sollten „Kompetenzen“ und nicht mehr nur „Schulwissen“ lehren. 12 Jahre später führte das Land bestimmte „Haltungen“ für seine Lehrkräfte ein und 2019 erschien der begleitende Leitfaden zur „Demokratischen Bildung“.
Im sicheren Raum der Demokratie dürfen alle Fehler machen
Ziemlich viele Vorgaben für den Lehrberuf. Da gibt es garantiert eine Menge falsch zu machen. Maike Plath hat deshalb mittlerweile ein konkreteres System für demokratischen Schulunterricht (Befreit euch!, 2017) entwickelt. Eigentlich ganz simpel: Die Lehrkraft kümmert sich vordergründig darum, dass in der Klasse ein demokratischer Raum entsteht, „der es jedem ermöglicht, miteinander und mit dem Material in Beziehung zu treten“.
Egal, worum es in einer Schulstunde geht, die Schülerinnen und Schüler sollen ihren eigenen Weg finden, sich damit auseinanderzusetzen. Die Lehrkraft gibt die Rahmenbedingungen vor und sichert das würdevolle Miteinander aller Beteiligten. Dabei darf auch mal so einiges schief gehen. Chaos, Durcheinander, Überforderung gehören nämlich dazu! Denn „‚Fehler‘ sind kreative und eigensinnige Umwege, die die Ortskenntnis erhöhen“.
Gerade jetzt in den Sommerferien üben wir das lebenslange Lernen in unserer demokratischen Umgebung. Jeden Tag bauen wir einen geschützten Raum, wo wir uns würdevoll begegnen können. Auf Augenhöhe also – wie unter FreundInnen. Weil wir die Grenzen des Gegenübers respektieren, lernen wir gleichzeitig unsere eigenen kennen.
So meistern wir Herausforderungen und übernehmen Führung
Bei "demokratischer Führung" ist das lebenslange Lernen schon eingedacht. Denn auch Lehrkräfte lernen bewusst von der Situation im Raum, indem sie Fehler machen. Unsere Demokratie ist genauso wenig perfekt – aber wir arbeiten daran und werden jeden Tag ein bisschen besser. Sodass irgendwann die SchülerInnen auch nicht mehr in jeder Situation die Hinweise der Lehrkraft mehr brauchen, sondern selbst entscheiden können, was jetzt eigentlich richtig wäre.
Denn es gibt kein „Herrschaftswissen“ und niemand ist allwissend. Wir lernen also nicht jeden Tag ein bisschen mehr auswendig, sondern wir lernen Herausforderungen zu meistern und Führung für uns selbst und andere zu übernehmen.
Wenn wir uns das zutrauen. Immer ein bisschen mehr. Ein ganzes Leben lang.
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