„Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht etwas, das nur auf der Website steht, sondern das wir praktizieren“

Dr. Dieter Dohmen, Gründer der ElternHotline, spricht über Vereinbarkeit aus Arbeitgeber-Sicht

Dein Kind hustet und der Artikel muss noch fertig werden. Lieber zum Arzt oder um Aufschub für die Abgabe bitten? ArbeitnehmerInnen mit Kindern haben es schwer, vor allem in Zeiten der Pandemie, denn neben den alltäglichen Aufgaben kommt die Dauerbelastung durch Corona hinzu. Wie können Arbeitgebende ArbeitnehmerInnen entgegenkommen und Vereinbarkeit von Familie und Job unterstützen?

„Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht etwas, das nur auf der Website steht, sondern das wir praktizieren“

Wir haben mit Dr. Dieter Dohmen gesprochen, selbst Vater eines Ziehsohnes und Arbeitgeber. Er leitet seit über 25 Jahren das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Berlin und seit Ende März auch das Start-up ElternHotline. In beiden Unternehmen arbeiten überwiegend Frauen.

„Kinder sind auch schon mit ins Büro gekommen“

Dr. Dieter Dohmen entwickelt seit Jahren familienfreundliche Arbeitsmodelle gemeinsam mit seinen MitarbeiterInnen – denn jede Familiensituation ist anders. Dabei ist es ihm wichtig, dass von beiden Seiten flexibel auf anfallende Veränderungen reagiert werden kann. Beispielsweise ist die sechsjährige Tochter einer Mitarbeiterin schon mit ins Büro gekommen. Und hat sich dort nicht nur mit dem I-Pad ihrer Mutter beschäftigt, sondern hat auch mit dem Chef gespielt. „Es wird nicht geschaut, ob die Kind-krank-Tage schon aufgebraucht sind“, so Dohmen. „Wir versuchen, das Ganze so unbürokratisch wie möglich zu halten.“ Auch Arbeiten von zu Hause ist im wissenschaftlichen Arbeitsumfeld des FiBS oder in der Online-Redaktion der ElternHotline kein Problem. „Sollte aber Zeitdruck herrschen, muss natürlich jemand anderes einspringen können, wenn ein anderer ausfällt. Wichtig ist, dass diese Bereitschaft dafür da ist. Letztlich ist die Situation ja nicht anders, wenn jemand aus dem Team regulären Urlaub hat, dann kriegen das ja auch alle hin. Wir haben kleine Teams eingerichtet, die sich selbstverantwortlich organisieren und abstimmen, damit die notwendigen bzw. anfallenden Arbeiten erledigt werden können." Das ist etwas, was in anderen Unternehmen ja auch problemlos möglich ist.

„Man macht das seit Jahrzehnten und dann stößt man darauf, was man bereits alles für Vereinbarkeit tut.“

Seit den 90iger Jahren beschäftigt sich der Bildungsforscher und Unternehmer mit dem Thema Vereinbarkeit. Da er selbst Vater ist, kennt er die Situation, beide Bereiche miteinander vereinbaren zu müssen. Besonders beworben hat er das Angebot, dass er seinen MitarbeiterInnen macht, allerdings nie: „Man macht das seit Jahrzehnten und dann stößt man darauf, was man bereits alles für Vereinbarkeit tut und merkt, wie innovativ oder fortschrittlich man ist“, betont Dohmen.

„Mir sind die MitarbeiterInnen wichtig!“

Doch was ist sein Grund für das Bemühen um Vereinbarkeit? „Eltern sind häufig sehr gut organisiert und motiviert: Sie bemühen sich, alles zu tun, um den Arbeitspflichten nachzukommen“, beschreibt Dohmen seinen Eindruck. „Außerdem sind mir die MitarbeiterInnen wichtig!“ Im Vordergrund steht immer, dass der Arbeitsbetrieb aufrecht erhalten bleibt. Dabei ist es kein klassisches Geben und Nehmen, denn ein Vertrauensvorschuss ist gegeben. Wichtig ist, dass Eltern gewissenhaft arbeiten und dass Arbeitszeit Arbeitszeit ist. „Das ist aber in weiten Teilen kein Unterschied zu anderen ArbeitnehmerInnen“, so Dohmen. Der Unterschied liegt in den klareren Rahmenbedingungen und dass sie in manchen Bereichen wegen der Kinder weniger flexibel sind. Oft sind Eltern dafür aber an anderen Stellen durchaus flexibler und manchmal auch verantwortungsbewusster.

Vertrauensvolle, geradlinige Kommunikation und Interesse an der Arbeit

Wichtig für die Zusammenarbeit ist, laut Dohmen, eine vertrauensvolle, geradlinige Kommunikation von beiden Seiten. Dabei ist es notwendig, die familiären Umstände zu kennen: „Wenn ich informiert bin, dass beispielsweise Angehörige gerade wegen Corona im Krankenhaus sind oder das Kind krank ist, dann weiß ich Bescheid und dann kann ich mich darauf einstellen“, sagt Dohmen. „Oder wenn man eine Nacht mal schlecht geschlafen hat und auf der Arbeit unfreundlich wirkt, dann kann man das kommunizieren und die anderen wissen Bescheid: Ok, das liegt nicht an der Arbeit oder an mir, das liegt am wenigen Schlaf oder den jeweiligen anderen Rahmenbedingungen!“

Wichtig ist für ihn als Arbeitgeber aber auch, das Interesse der MitarbeiterInnen an der Arbeit zu sehen. Dann kann auch jederzeit, beispielsweise darüber geredet werden, die Arbeitsstunden zu reduzieren. „Dann findet man sicher einen Kompromiss. Beispielsweise kann man sagen: Nach dem Abschluss des aktuellen Projekts können wir darüber reden“, erklärt Dohmen.

Verloren gegangenes Vertrauen in Mitarbeiter belastet auch Arbeitgeber

Schwierig sind Situationen, in denen sich ArbeitnehmerInnen abmelden wegen Kinderpflichten und die Arbeiten dann gar nicht gemacht werden oder lange liegen bleiben. Oder aber, wenn ArbeitnehmerInnen sich krankmelden, aber gar nicht krank sind: „Wenn MitarbeiterInnen versuchen, sich einen lauen Lenz zu machen, dann schwindet das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und ArbeitnehmerIn“, so Dohmen. „Das gilt aber grundsätzlich und nicht nur bezogen auf Eltern.“ Problematisch ist es auch, wenn man das Gefühl hat, dass sich negative Grundeinstellungen von einer Person auf die andere übertragen. „Das sind dann Momente, wo man übermäßig misstrauisch wird und sich denkt: Nein, das mache ich so nicht mehr“, so Dohmen. Das ist aber nicht die Regel.

Corona-Elterngeld ersetzt keine Gehaltsausfälle

Gerade jetzt in Zeiten von Corona ist es dem Unternehmer wichtig, dass die Eltern in der Firma bleiben können und nicht ausgegrenzt werden: „Das Corona-Elterngeld ersetzt keine Gehaltsausfälle“, sagt Dohmen. Eltern müssten ihre verschiedenen Interessen vereinbaren können. Zusätzliche Kind-krank-Tage zu gewährleisten, ist für ihn da kein Problem: „Die sind schon gewährleistet worden!“, so der Bildungsforscher. Denn: „Vereinbarkeit ist nicht etwas, das bei uns nur auf der Website steht, sondern das wir praktizieren."

Themen

Artikel zum Thema