Geschlechtergerechtigkeit während der Corona-Krise
Ein Blick durch die Männerbrille
In den letzten Woche hieß es immer wieder, die Corona-Krise würde die Frauen überproprtional belasten und wäre ein Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung. Auffallend, so könnte man meinen, sind es vor allem Frauen, die das behaupten. Lediglich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung traute sich vor einigen Wochen ein Mann, diese These in Frage zu stellen. Schauen wir also noch mal genauer hin. Die ElternHotline ist ja schließlich kein Frauen- oder Mamaportal.
Eine These hörte man in öffentlichen Debatten zuletzt immer wieder: Während der Corona-Krise seien es die Frauen, die die Hauptlast der Familienarbeit tragen und das Rad der Gleichberechtigung wäre damit wieder um Jahre zurückgedreht. Die Soziologin Jutta Allmendinger, Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) war eine der ersten, in jedem Fall aber eine der lautesten Verfechterinnen dieser These. Eine Studie des WZB zum Corona-Alltag zeige: deutlich mehr als 20 Prozent der Mütter, aber weniger als 20 Prozent der Männer haben ihre Erwerbsarbeitsstunden verkürzt. Auch habe die Arbeits- und Lebenszufriedenheit der Frauen seit der Schließung von Kitas und Schulen deutlich mehr abgenommen als bei den Männern.
Darüber hinaus kommt die sog. "Corona-Studie" der Uni Mannheim zu dem Ergebnis, dass in etwas mehr als der Hälfte der befragten Haushalte die Kinderbetreuung allein von der Frau übernommen wird. Ein Wert, der leicht angestiegen ist. Jeweils bei einem Viertel der Familien teilen sich beide Elternteile diese Aufgabe oder der Mann übernimmt sie alleine. Mit steigendem Einkommen nimmt der Anteil der Eltern, die die Kinder gemeinsam betreuen, zu. Nach dieser letztgenannten Studie beträgt der Netto-Unterschied zwischen Männern und Frauen also etwa ein Viertel. Es ist dabei aber auch zu berücksichtigen, dass sich der Unterschied noch weiter verringert, wenn die große Zahl der alleinerziehenden Frauen berücksichtigt wird, die sich zwangsläufig alleine um die Kinder kümmern. Gerade für die alleinerziehenden Frauen und Männer ist die Doppelbelastung in Corona-Zeiten ein „Höllenritt“, der viele an den Rand der Belastbarkeit treibt – wenn nicht gar darüber hinaus. Ergebnissen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zufolge haben in Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren 27 Prozent der Frauen, aber nur 16 Prozent Männer ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Bei Haushalten mit geringerem oder mittlerem Einkommen fällt die Diskrepanz noch größer aus, vor allem auch bedingt durch das meist höhere Gehalt des Mannes.
Alle drei Studien legen somit den Schluss nahe, dass Corona die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wieder verschärft habe. Noch weitergehend behaupten einige Frauen, in Deutschland würde sich das Rad der Gleichstellung wieder in frühere Jahrzehnte, unter Umständen bis in die 1950er Jahre zurückdrehen. Eine solch steile These ist hilfreich, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren, fraglich ist aber, ob das die heutige Situation wirklich wiedergibt.
Wäre Deutschland wieder in den 1950er oder auch in den 1970er-Jahren, dann wäre die Frauenerwerbstätigkeit in Corona-Zeiten vermutlich deutlich geringer als sie heute ist. Noch in den 1970ern waren westdeutsche Frauen vor allem Hausfrauen. Erwerbstätige Frauen wurden kritisch beäugt und deren Kinder gerne „Schlüsselkinder“ genannt, weil sie diesen – sichtbar um den Hals gehangen – benötigten, um die Haustür aufzuschließen, wenn sie von der Schule nach Hause kamen. Der Besuch des Kindergartens war ein Randphänomen. In Ostdeutschland war das zu dieser Zeit völlig anders, Frauen zumindest weitgehend gleichberechtigt und Kindergärten normal. Ob es eine wirkliche Geschlechtergerechtigkeit gab, vermag ich als im tiefsten Westen Deutschlands, an der holländischen Grenze, aufgewachsener Mann nicht zu beurteilen.
So sind die Verhältnisse heute jedenfalls nicht, auch wenn Frauen weiterhin die Mehrheit der Familienarbeit leisten und sich ihr Anteil in Corona-Zeiten vielleicht sogar erhöht hat. Einen direkten Vergleich zwischen der Aufteilung der Familienarbeit in Corona-Zeiten mit dem vergangenen Jahr lässt die SOEP Covid-19-Studie zu. Auch nach dieser Studie leisten Frauen einen höheren Anteil als die Männer (5,3 Stunden vs. 2 Stunden), allerdings haben sich Männer und Frauen die MEHRarbeit in der Corona-Zeit fast gleichmäßig aufgeteilt. Dies würde der o.g. These einer Rückkehr der Gleichstellung in das letzte Jahrtausend klar widersprechen.
Ich gebe allerdings zu, dass ich nicht erwartet hätte, dass sich Männer überhaupt in diesem Umfang an der Familienarbeit und fast „gleichberechtigt“ an der MEHRarbeit beteiligt hätten.
Als Fazit lässt sich also festhalten: Männer engagieren sich in Corona-Zeiten mehr als vorher bei der Familienarbeit. Das reicht jedoch noch nicht aus, um den Rückstand, den wir Männer dabei immer noch haben, aufzuholen und unsere Frauen stärker zu entlasten.
Es ist daher auch keine Überraschung, dass Frauen die aktuelle Situation als wesentlich herausfordernder wahrnehmen als Männer und insgesamt unzufriedener sind (SOEP Covid-19 Studie). Interessant ist dabei aber auch, dass Kinder insgesamt zu einer etwas geringeren Unzufriedenheit beitragen. Mit anderen Worten: Eltern sind in Corona-Zeiten trotz aller Belastungen im Durchschnitt zufriedener als andere Menschen, insbesondere als Single-Haushalte. Das schließt aber nicht aus, dass viele Eltern „massiv am Rad drehen“.
Mit Blick auf die langfristigen Effekte sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: Auch wenn die Wirtschafts- und Finanzkrise einen weniger starken Eingriff in das Erwerbsleben darstellte, so zeigt sich deutlich, dass sich seither die Erwerbstätigkeit von Frauen noch einmal deutlich verbessert hat und sie weniger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Männer – allerdings ist die Erwerbstätigenquote immer noch niedriger. Es gibt jedoch ein Beschäftigungswachstum vor allem in den von Frauen dominierten Wirtschaftsbereichen (FiBS 2020, i.V.).
Als Kompensation der geleisteten Familienarbeit, aber auch der Einkommenseinbußen wurde ein Corona-Elterngeld gefordert. Ich halte diese Forderung für berechtigt. Gleichzeitig sollte damit jedoch nicht einhergehen, dass Frauen auf ihre Erwerbstätigkeit verzichten müssen, weil ihnen das Elterngeld nun zur Verfügung gestellt wird. Denn genau hier liegt die Gefahr, dass das Rad weiter zurückgedreht wird. Je mehr Eltern – Frauen wie Männer - auf die normale Beteiligung am Erwerbsleben verzichten (müssen) und dem Arbeitgeber dadurch weniger zur Verfügung stehen als Beschäftigte ohne Kinder, desto größer wird die Gefahr, dass kinderlose Bewerber/innen bevorzugt werden. In diesem Fall droht möglicherweise ein deutlich stärkerer Rückschritt in Sachen Gleichstellung der Geschlechter.
Dr. Dieter Dohmen ist Arbeitgeber, Vater und war während der Corona-Zeit überwiegend im Home-Office und für die Unterstützung des 18-jährigen Sohnes zuständig. Seine Frau arbeitet in einem systemrelevanten Bereich. Im „normalen Leben“ ist er Analyst, Querdenker, Visionär und als Inhaber und Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (www.fibs.eu) und geschäftsführender Gesellschafter der FiBS ElternHotline gGmbH (www.ElternHotline.de) auch Sozialunternehmer.
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