Wenn die eigene Mama Kraft für zwei haben muss

Ein Tochterblick auf das Thema „alleinerziehend“

Meine Großeltern sind auf dem Dorf aufgewachsen. Dort leben bis heute um die 500 Menschen. Ihren Mann hat meine Oma „auf dem Tanz kennengelernt“, sie war mit 19 verheiratet, kurz danach kam das erste Kind. Insgesamt wurden es vier.

Wenn die eigene Mama Kraft für zwei haben muss

Die Grenzen eines Dorfes sind die Grenzen einer Welt

Aus dem Dorf sind meine Großeltern bis heute nicht rausgekommen. Die Grenzen ihres Dorfes sind (fast) die Grenzen ihrer Welt. Meinen Großstadtalltag zu verstehen, ist für sie schwer. Die Nöte meiner alleinerziehenden Mutter nachzuvollziehen: Auch das war für sie schwer. Aber meine Oma war da. Sie hat mich gebadet, gewickelt, gefüttert. Sie ist mit dem Auto gekommen, wenn meine Mutter Nachtdienst hatte, sie hat mich umsorgt wie ihr eigenes Kind. Sie hat auch nachgeholt, wofür sie bei ihren Kindern keine Zeit hatte. Sie war das Auffangnetz der Fürsorge, das mein Vater nicht bieten konnte.

Antiquierte Vorwürfe im Austausch für großelterliche Fürsorge

Doch nicht immer war alles so rosig, Vorwürfe blieben ihr nicht erspart. „Sie hätte ja alles haben können“, war so ein Satz meiner Großmutter. „Sie habe sich den Falschen ausgesucht“, war ein anderer. Von der inneren Zerrissenheit meiner Mutter von damals bleibt bis heute ganz viel Härte. Manche nennen es auch Stärke. Die Meinungen und Vorwürfe, die man nicht nur aus dem Umfeld bekommt, sondern auch im Internet liest machen es nicht einfacher. Dort wird nie ein Kind vor den Fernseher gesetzt, um in Ruhe die Wäsche zu waschen, keiner gibt dem Nachwuchs Süßigkeiten und laut wird auch niemand. Alle sind entspannt und kommen gut mit dem Alltag klar. Im Internet, im Fernsehen und der Werbung gibt es Spiel, Spaß und eine heile Welt.

Keine Unterstützung im Alltag – dafür zu viele Sorgen für nur eine Person

Ihre Familie war für meine Mutter da. Ganz im Gegensatz zu anderen Müttern und Vätern, die nicht auf die Unterstützung ihrer nahen Verwandten und Freunde vertrauen können. Die das Kind nicht für ein paar Stunden abgeben können, die keine Ratschläge von Eltern bekommen und stattdessen Hilfe in Ratgebern suchen. Die sich fragen, wie sie finanzielles Überleben und Kind unter einen Hut bekommen sollen und in Magazinen oder im Internet sehen, dass das eigentlich ganz leicht sein muss. Die sich fragen, ob sie als einzige irgendetwas falsch verstanden haben: Warum ist dieses Familienglück so verdammt anstrengend?

Keine Heldin des Alltags sein wollen

Meine Mutter ist keine Heldin. Bis heute versucht sie ihre Bedürfnisse, ihre Erwartungen an sich als Mutter, als Tochter und als Arbeitnehmerin unter einen Hut zu bekommen. Bis heute könnte sie sauer sein: Auf meinen Vater, von dem kein Unterhalt kam, auf meine Oma, die dachte, meine Mutter wäre nur verheiratet eine wirkliche Frau und auch nur so wirklich glücklich und auf die Gesellschaft, weil sie bis heute in jedem Werbeplakat dieses Denken unterstützt.

Sich frei machen von Erwartungen und auf sich selbst hören

Geholfen hat meiner Mutter ein radikales Denken an sich selbst. Das mag egoistisch klingen, im Grunde aber war es ein Rettungsanker. Denn Eltern können nur für ihr Kind gut sorgen, wenn es ihnen selbst gut geht. Und dafür brauchen sie sowohl finanzielle als auch physische und psychische Stabilität. Das bedeutet auch, sich von Erwartungen von außen frei zu machen. Erwartungen von Großeltern, die sagen, der Fußboden muss blitzeblank sein, Erwartungen von Freunden, die raten, das Kind müsse schon mit drei Englisch lernen und Erwartungen von Arbeitgebern, die meinen, man müsse auch am Wochenende erreichbar sein. Hier hilft nur, Grenzen zu setzen und auf sich selbst hören. Denn nur Eltern, die mit sich selbst gut umgehen, können mit ihren Kindern gut umgehen. Und nur solche Kinder lernen, auch mit anderen gut umzugehen. Dabei bleibt jedoch jede Familie verschieden und findet ihren eigenen Weg.

Gastbeitrag von Nina

Neben dem Tochterblick einer alleinerziehenden Mama haben wir in dieser Woche auch den Blick von Christin, Mitgründerin der ElternHotline und ebenfalls alleinerziehend, in unserem Magazin. Schau doch gleich einmal vorbei!

Themen

Artikel zum Thema